Das Zentraldepot beschlagnahmter Kunst in Wien

Die Sicherstellung jüdischer Kunstsammlungen war eines der Ziele der Nationalsozialisten und wurde nach dem Anschluss im März 1938 systematisch in die Tat umgesetzt. Die Zentralstelle für Denkmalschutz konnte unter Berufung auf das Ausfuhrverbotsgesetz von 1918 die Sicherstellung von Kunstsammlungen beantragen, deren Verbringung ins Ausland befürchtet wurde. KustodInnen der öffentlichen Sammlungen, die vor dem Anschluss private SammlerInnen fachlich beraten hatten, gaben nun der Gestapo im Wissen um bedeutende Werke wiederholt Hinweise zur Beschlagnahmung. SammlerInnen, die sich nach Ansicht der Nationalsozialisten gegen die deutsche Volksgemeinschaft gestellt hatten, wurden enteignet. Bei diesen Beschlagnahmungen griff die Gestapo auf die fachkundige Unterstützung durch KunsthistorikerInnen der staatlichen Museen in Wien und anderen Bundesländern zurück.[1]

Beschlagnahmte Kunst- und Kulturgüter wurden von der Gestapo in den ersten Monaten nach dem Anschluss an verschiedenen Orten in Wien gelagert; im Herbst 1938 wurde in der Neuen Burg (Hofburg) das Zentraldepot für beschlagnahmte Kunstwerke eingerichtet. Bis Herbst 1939 wurden in diesen Räumen nahezu 10.000 Kunstobjekte zusammengeführt. Hier sollten unter Mitwirkung des Kunsthistorischen Museums alle enteigneten Kunstgegenstände gesammelt, inventarisiert und konservatorisch betreut werden. Durch die fachliche Betreuung der Bestände erhoffte sich das Kunsthistorische Museum die Zuweisung einiger der Hauptwerke der beschlagnahmten Sammlungen.[2]

Seit Sommer 1938 wurden alle beschlagnahmten Werke unter den "Führervorbehalt"[3] gestellt. Adolf Hitler, der am 25. Oktober 1938 das Zentraldepot in der Neuen Burg besuchte, sicherte sich so den Erstzugriff auf bestimmte Stücke, um damit das geplante Führermuseum in Linz zu füllen.[4] Die nicht für Linz bestimmten Kunstwerke wurden von der Zentralstelle für Denkmalschutz an österreichische Museen verteilt, die lange Wunschlisten vorgelegt hatten. Kurz nach Beginn des Krieges begann man aus Angst vor Bombenschäden damit, die Kunstwerke außerhalb von Ballungszentren zu lagern. Die Bestände des Zentraldepots gelangten - wie die Sammlungen der großen Museen - über verschiedene Stationen in aufgelassene Klöster und enteignete Schlösser, ab 1943 in die Stollen der Salzbergwerke Altaussee (Steiermark) und Lauffen (Oberösterreich).[5] Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Rückführung der beschlagnahmten Werke über den Central Art Collecting Point in München abgewickelt.[6]

[1] Vgl. Herbert Haupt, Jahre der Gefährdung. Das Kunsthistorische Museum 1938 – 1945, Wien, 1995, S. 16 (im Folgenden zit. als: Haupt, Jahre der Gefährdung).

[2] Vgl. ebd., S. 17f.

[3] Erlass des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei, 18. Juni 1938. Archiv des Bundesdenkmalamtes Wien (BDA). Restitutionsakten, Karton 8/1, Faszikel 1. Als Faksimile in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute, Wien-Köln-Weimar, 1999, S. 157.

[4] Vgl. Haupt, Jahre der Gefährdung, S. 17f.

[5] Vgl. ebd., S. 19.

[6] Vgl. Gerhard Sailer, Rückbringung und Rückgabe: 1945 – 1966, in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute, Wien–Köln–Weimar, 1999, S. 31f.