Scheinlegale Methoden der Entziehung

Der Kunstraub der Nationalsozialisten in Österreich war Bestandteil der planmäßig durchgeführten Beraubung der jüdischen Bevölkerung, aber auch Teil der komplexen und rassistisch begründeten Vernichtungspolitik[1]. Unmittelbar nach dem Anschluss am 12. März 1938 plünderten Gestapo, SS und Parteiangehörige der NSDAP Wohnungen, beschlagnahmten unter anderem Gemälde, Schmuck und Teppiche, wobei vorab erstellte Adresslisten ihnen den Weg wiesen.[2] Von der Gestapo beschlagnahmte Wohnungseinrichtungen wurden vor allem über das Auktionshaus Dorotheum versteigert. Jüdinnen und Juden, die versuchten, zur Finanzierung ihrer ­Flucht eilig Kunstwerke zu verkaufen, waren in vielen Fällen dazu genötigt, Kaufangebote des Kunsthandels, die weit unter dem Wert der Objekte lagen, anzunehmen.[3] Museen kauften oft Kunstwerke aus dem Besitz jüdischer SammlerInnen, die die Zentralstelle für Denkmalschutz[4] mit einer Ausfuhrsperre belegt hatte.

Auch im Fall der Entziehung von Kunstwerken war das NS-Regime darauf bedacht, sein Vorgehen auf eine gesetzliche Basis zu stellen. Der bürokratische Entziehungsapparat bestand aus NS-Organisationen, die auch bereits bestehende Behörden und gesetzliche Maßnahmen der Ersten Republik und des Ständestaates mit einbezogen, sowie mit Kunsthandlungen, Auktionshäusern und anderen Kunstsachverständigen kooperierten. Eine Reihe von Verordnungen und Gesetzen legalisierte den Kunstraub. Da in den ersten Wochen nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich keine klaren Vorschriften bestanden, kam es in dieser Zeit zu zahlreichen wilden Arisierungen und Plünderungen durch NSDAP-Mitglieder und Gestapo-VertreterInnen, aber auch PolizistInnen sowie arische Nachbarn. Zahlreiche Wertgegenstände gingen auf diesem Weg schon in den ersten Tagen nach dem Anschluss unwiederbringlich verloren.[5] Josef Bürckel, u.a. Reichskommissar für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, sah sich im Hinblick auf das Ausmaß der wilden Arisierungen in den ersten Wochen nach der NS-Machtübernahme veranlasst, zur Ordnung zu ermahnen: Es ist selbstverständlich, dass ein solches Vorgehen ungesetzlich und unzulässig ist. Zu Durchsuchungen und Beschlagnahmungen sind allein die gesetzlich zuständigen, öffentlichen Sicherheitsorgane befugt.[6]

Am 27. April 1938 erließ das Reichsministerium für Inneres die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden.[7] Vermögen, das den Gesamtwert von 5.000 Reichsmark überstieg, musste bei der Vermögensverkehrsstelle angemeldet werden.[8] Die zahlreichen zur Flucht ins Ausland gezwungenen Jüdinnen und Juden mussten auf Basis des gemeldeten Vermögens ein Ansuchen um die Mitnahme von Umzugsgut stellen. Um Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung[9] im Dritten Reich zu halten, griff das NS-Regime in Österreich auf das 1918 von der Ersten Republik beschlossene Ausfuhrverbotsgesetz zurück.[10] Um den Wert von Kunstgegenständen festzustellen, mussten Gutachten von Schätzmeistern eingeholt werden, die von der Vermögensverkehrsstelle bestimmt worden waren. Diese Schätzgutachten dienten zur Vorlage bei der Zentralstelle für Denkmalschutz, die über die Genehmigung der Ausfuhr entschied. Durchschläge der Gutachten ergingen ab 1939 auch an die Zollfahndungsstelle und das Auktionshaus Dorotheum, um jeden Versuch der Umgehung der strengen Ausfuhrbestimmungen zu unterbinden.[11] Zusätzlich inspizierten ZollbeamtInnen sowie MitarbeiterInnen der Zentralstelle für Denkmalschutz Umzugsgüter, die zur Emigration genötigte Jüdinnen und Juden ins Ausland verbringen wollten. Die strengen Ausfuhrbestimmungen zwangen viele der verfolgten Privatpersonen, einzelne Kunstwerke oder ganze Sammlungen vor der Auswanderung zu Schleuderpreisen zu verkaufen.[12]

Ein weiteres Druckmittel, um an Kunstgegenstände zu gelangen, waren gegen Jüdinnen und Juden gerichtete diskriminierende Steuerforderungen. Die schon mit dem Anschluss in Österreich eingeführte Reichsfluchtsteuer[13] wurde im November 1938 durch die Judenvermögensabgabe[14] ergänzt. Zur Tilgung dieser Steuerschulden mussten je etwa 25 Prozent des Vermögens abgeführt werden. Für die meisten Betroffenen war es unmöglich, diesen Betrag aufzubringen, worauf die Beschlagnahmung des Eigentums erfolgte.[15] Die Verwertung dieser Güter wurde zum überwiegenden Teil über das Auktionshaus Dorotheum in Wien abgewickelt.[16]

Mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 wurde Jüdinnen und Juden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten, die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt und ihr Vermögen als staatsfeindlich eingezogen. Die nationalsozialistische Bürokratie verstand unter Aufenthalt im Ausland nicht nur andere Länder, sondern ebenso die Deportation in Konzentrationslager außerhalb des Reichsgebietes.[17] Die etwa 16.500 Ansuchen um Ausfuhrgenehmigung für Kunstwerke allein aus den Jahren 1938 und 1939 verdeutlichen die Dimensionen des Kunstraubes des Nationalsozialismus.[18]

[1] Zit. nach: Sabine Loitfellner, NS-Kunstraub und Restitution in Österreich. Institutionen – Akteure – Nutznießer, in: Verena Pawlowsky, Harald Wendelin (Hg.), Enteignete Kunst. Raub und Rückgabe. Österreich von 1938 bis heute, Wien, 2006, S. 13 (im Folgenden zit. als: Loitfellner, NS-Kunstraub und Restitution in Österreich).

[2] Vgl. ebd., S. 13.

[3] Vgl. ebd., S. 14.

[4] Im Jahr 1940 wurde die Zentralstelle für Denkmalschutz in Institut für Denkmalpflege umbenannt, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstand daraus das heutige Bundesdenkmalamt (Anm. d. Red.).

[5] Vgl. Gabriele Anderl, Edith Blaschitz, Sabine Loitfellner, Die Arisierung von Mobilien und die Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut, in: Clemens Jabloner, u.a. (Hg.), Arisierung von Mobilien (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission Bd. 15), Wien-München, 2004, S. 33f.

[6] Zit. nach: Ebd., S. 37.

[7] Kundmachung des Reichstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 bekannt gemacht wird, GBlÖ 102/1938, 27. April 1938.

[8] Kundmachung des Reichstatthalters in Österreich über die Übertragung von Befugnissen nach den Vorschriften über die Anmeldung des Vermögens von Juden und über die Errichtung einer Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Handel und Verkehr, GBlÖ 139/1938, 18. Mai 1938.

[9] Gesetz vom 5. Dezember 1918, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, StGBl. Nr. 1918/90, 5. Dezember 1918, §1.

[10] StGBl. 1918/90, 5. Dezember 1918, in der abgeänderten Version von 1923: BGBl. 1923/80, 25. Dezember 1923; Vgl. Loitfellner, NS-Kunstraub und Restitution in Österreich (zit. Anm. 1), S. 14 und S. 246, Anm. 2.

[11] Vgl. Sophie Lillie, Was einmal war – Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien, 2003, S. 14 (im Folgenden zit. als: Lillie, Was einmal war).

[12] Vgl. Loitfellner, NS-Kunstraub und Restitution in Österreich, S. 14.

[13] Die Weimarer Republik führte am 8. Dezember 1931 die Reichsfluchtsteuer gegen die Kapitalflucht ins Ausland ein. Auswanderer, die über ein Vermögen von mehr als 200.000.- Reichsmark bzw. über ein Jahreseinkommen von mehr als 20.000.- Reichsmark verfügten, mussten ein Viertel ihres Vermögens an den Staat abtreten. Ab Mai 1934 galt diese Verordnung für Vermögen über 50.000.- Reichsmark bzw. Jahreseinkommen über 10.000.- Reichsmark. Ab September 1934 durften nur mehr 10.- Reichsmark ohne Genehmigung ausgeführt werden. Die Reichsfluchtsteuer wurde per Verordnung vom 14. April 1938 auch im Gebiet Österreichs eingeführt (GBlÖ 94/1938).

[14] Auf Initiative Hermann Görings verhängte das NS-Regime nach dem Attentat auf den deutschen Legationsrat Ernst Eduard vom Rath am 7. November 1938 in Paris eine Sühneleistung für die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk. Juden und Jüdinnen, die über mehr als 5.000.- Reichsmark verfügten, mussten bis zum 15. August 1939 insgesamt 20 Prozent ihres Vermögens an die Finanzbehörden abgeben. Ab Oktober 1939 waren 25 Prozent des Gesamtvermögens in vier Teilbeträgen als JUVA abzuführen.

[15] Vgl. Lillie, Was einmal war, S. 14.

[16] Vgl. Loitfellner, NS-Kunstraub und Restitution in Österreich, S. 19.

[17] Vgl. Theodor Brückler, Kunstwerke zwischen Kunstraub und Kunstbergung: 1938 – 1945, in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute, Wien-Köln-Weimar, 1999, S. 15.

[18] Vgl. Lillie, Was einmal war, S. 13.