Der Führervorbehalt und das geplante Führermuseum in Linz

Am 18. Juni 1938 stellte Adolf Hitler alle in Österreich beschlagnahmten Kunstwerke unter den Führervorbehalt.[1] Diese Regelung war eine Reaktion auf die zahlreichen Konfiszierungen der Gestapo und von Organisationen der NSDAP in den ersten Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich.[2] Durch den Führervorbehalt sollten die Enteignungen - insbesondere am Kunststandort Wien - unter die Kontrolle Berlins gestellt und für Hitler der Erstzugriff auf die hochrangigen Kunstsammlungen des Wiener jüdischen Bürgertums gesichert werden.[3] Gemälde, die bis 1938 Hauptwerke der Sammlungen Rothschild, Gutmann oder Bondy waren, sollten die Privatsammlung Hitlers und vor allem das geplante Führermuseum in Linz schmücken.

Geplant war das Führermuseum als Teil des neuen europäischen Kunst- und Kulturzentrums, das nach Hitlers Wunsch in Linz entstehen sollte.[4] An einer typischen nationalsozialistischen Achsenstraße südlich der Altstadt von Linz sollten ein Opernhaus, eine Bibliothek und die Galerie des Führers errichtet werden. Wie viele andere Bauprojekte des NS-Regimes blieb jedoch auch die Führerstadt Linz unrealisiert. Der Abschluss der Bauarbeiten war für das Jahr 1950 geplant, tatsächlich ausgeführt wurde nur die noch heute bestehende Nibelungenbrücke.[5]

1939 wurde Hans Posse, Leiter der Gemäldegalerie in Dresden, zum Sonderbeauftragten für dieses Linzer Museum berufen.[6] Sein Auftrag war es, die Sammlung des geplanten Linzer Führermuseums zusammenzustellen. Ein großer Teil der Gemälde kam als Zuteilung aus beschlagnahmten Beständen jüdischer SammlerInnen in Deutschland, Österreich und den besetzten Gebieten in die für Linz vorgesehene Sammlung. Zahlreiche Kunst- und Kulturgüter erwarb der Sonderbeauftragte für Linz auf ausgedehnten Einkaufsreisen durch Europa und durch Vermittlung von KunsthändlerInnen.[7] Im Spätsommer und Herbst 1939 besuchte Hans Posse mehrmals das Zentraldepot beschlagnahmter Kunst in der Neuen Burg in Wien und reservierte daraus die bedeutendsten Stücke für das Museum in Linz.[8] Nach Posses Tod 1942 wurde Hermann Voss, der ehemalige stellvertretende Direktor des Kaiser-Friedrich-Museums in Berlin, als neuer Sonderbeauftragter für Linz ernannt.[9]

Mangels genauer Inventarlisten der für Linz vorgesehenen Gemälde lässt sich heute der Umfang der für das Führermuseum zusammengetragenen Sammlung nur schätzen. Die US-amerikanische Art Looting Investigation Unit listete 1945 unter den in Altaussee geborgenen Kunst- und Kulturgüter insgesamt 6.755 für das Linzer Museum bestimmte Objekte auf. Der Dresdner Katalog, der heute im Bundesarchiv Koblenz verwahrt wird, nennt 4.000 Gemälde.[10] Weitere Anhaltspunkte liefern die heute im Archiv der Oberfinanzdirektion Berlin verwahrten, in Leder gebundenen Fotoalben, die für Hitler angefertigt wurden, um ihm die Neuerwerbungen für Linz vorzuführen.[11]

[1] Bei der Beschlagnahme staatsfeindlichen, im Besonderen auch jüdischen Vermögens in Österreich sind u. a. auch Bilder und sonstige Kunstwerke von hohem Wert beschlagnahmt worden. Der Führer wünscht, dass diese zum großen Teil aus jüdischen Händen stammenden Kunstwerke weder zur Ausstattung von Diensträumen der Behörden oder Dienstwohnungen leitender Beamte verwendet, noch von leitenden Persönlichkeiten des Staates und der Partei erworben werden. Der Führer beabsichtigt, nach Einziehung der beschlagnahmten Vermögensgegenstände die Entscheidung über ihre Verwendung persönlich zu treffen. Er erwägt dabei, Kunstwerke in erster Linie den kleinen Städten in Österreich für ihre Sammlungen zur Verfügung zu stellen., Erlass des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei, 18. Juni 1938. Wien, Bundesdenkmalamt, Archiv, Restitutionsakten, Karton 8/1, Faszikel 1. Als Faksimile in: Theodor Brückler (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute, Wien-Köln-Weimar, 1999, S. 157.

[2] Der Führervorbehalt galt anfangs nur für Österreich und wurde erst später auf das Altreich und die besetzten Gebiete ausgedehnt (Anm. d. Red.).

[3] Vgl. Gabriele Anderl, Alexandra Caruso, Einleitung, in: Gabriele Anderl, Alexandra Caruso (Hg.), NS-Kunstraub in Österreich und seine Folgen, Innsbruck, 2005, S. 13.

[4] Vgl. Helmut Weihsmann, Bauen unter dem Hakenkreuz. Architektur des Untergangs, Wien, 1998, S. 942.

[5] Vgl. ebd., S. 944.

[6] Tagebuch Hans Posse 1936 – 1942, Eintrag vom 21. Juni 1939. Archiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Nachlass Posse.

[7] Vgl. Birgit Kirchmayr, Adolf Hitlers Sonderauftrag Linz und seine Bedeutung für den NS-Kunstraub in Österreich, in: Gabriele Anderl, Alexandra Caruso (Hg.), NS-Kunstraub in Österreich und seine Folgen, Innsbruck, 2005, S. 29f (im Folgenden zit. als: Kirchmayr, Sonderauftrag Linz).

[8] Vgl. Herbert Haupt, Jahre der Gefährdung. Das Kunsthistorische Museum 1938 – 1945, Wien, 1995, S. 18 u. 92.

[9] Vgl. Kirchmayr, Sonderauftrag Linz, S. 28.

[10] Vgl. ebd., S. 31.

[11] Vgl. ebd., S. 31; Birgit Schwarz, Hitlers Museum. Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz. Dokumente zum Führermuseum, Wien, 2004.